Wie ein Genogramm hilft, deine familiären Rollen zu klären
Glaubst du, deine Familie hat deine beruflichen Entscheidungen beeinflusst? Ein Genogramm kann Klarheit in familiäre Strukturen bringen. Es zeigt dir auf, wer dich wie geprägt haben könnte. Doch wie funktioniert es? Wahrscheinlich kennst du bereits den Begriff Organigramm. Das Organigramm zeigt die Strukturen und Hierarchien eines Unternehmens oder einer Organisation. Ein Genogramm ist analog dasselbe Werkzeug für die Veranschaulichung der Strukturen und Rollen in einer Familie. Die Familie ist deshalb oft so wichtig, weil sie die erste Prägung beruflicher Interessen bestimmt. Ein Genogramm ist wie ein Stammbaum mit Angaben darüber, wie grün die einzelnen Blätter sind und wie sie emotional zueinanderstehen. Es kann Fragen beantworten zu deinen aus der Familie erlernten oder vererbten Verhaltensmustern.
Welche Arten von Rollen gibt es und was macht sie aus?
Um ein Genogramm sinnvoll nutzen zu können, musst du zuerst verstehen, was für Rollen es gibt und was sie ausmacht. Wie ein Schauspieler, spielst du im Leben viele verschiedene Rollen. Diese verschiedenen Rollen zusammen kannst du Rollenset nennen. Eine dieser Rollen im Rollenset ist dein Beruf. Eine andere ist vielleicht deine Kapitänsposition im Fußball-Team.
Im Leben geht es nicht nur um unseren Beruf. Viele Rollen haben dich viel früher im Leben geprägt. Diese Rollen sind z.B. die der Tochter, Freundin oder deutschen Staatsbürgerin. Wir wollen dir zeigen, wie du deine familiären Rollen klären kannst und dadurch mehr Selbstverantwortung und Selbstbewusstsein erlangen kannst.
Wie beim Schauspielern hast auch du bei jeder Rolle u.a.:
Eine Rolle zu haben, bedeutet, dass andere Menschen bestimmte Erwartungen an dein Verhalten richten. Im Beruf erwartet dein Chef oder deine Vorgesetzte z.B., dass du pünktlich und vorbereitet zum Meeting erscheinst. Wenn du das nicht tust, ist fraglich, ob du deinen Job lange behältst. Wenn du alle Erwartungen erfüllst, steigen die Chancen, dass du befördert wirst und eine Gehaltserhöhung bekommst.
Privat erwartet dein Partner oder deine Ehefrau, dass du abends pünktlich zum Essen zu Hause bist. Damit stehen die Chancen gut für eine glückliche Beziehung. Auch du selbst hast Erwartungen an die Rollen, die du spielst. Das ist dein sogenanntes Rollenselbstbild.
Deine Rollen müssen zu deinen Bedürfnissen passen
Soziale Rollen und persönliche Bedürfnisse hängen eng zusammen. Musst du z.B. ständig um deinen Arbeitsplatz bangen, sind deine Sicherheitsbedürfnisse bedroht. Sind die Kollegen nicht passend, dann sind die sozialen Bedürfnisse unerfüllt. Wenn du dir als Beraterin Zeit nehmen willst für deine Kundin, aber dein Chef Druck macht, sind negative Folgen absehbar. Du bekommst Angst, wirst innerlich unruhig, schläfst schlecht und/oder erlebst Stress. Mehr zum Thema Rollenkonflikte findest du hier.
Es ist daher wichtig, dass die Rollen, die du spielst zu deinen Bedürfnissen passen. Und dafür musst du sie erst einmal bewusst machen. Dafür kannst du dir dein eigenes Rollenset malen. Rollen kommen in drei Arten vor:
Warum ein Genogramm bei der Orientierung oft hilfreich ist
Gerade zu Beginn des Berufslebens nehmen viele Menschen eine Rolle im Organigramm eines Unternehmens ein, die sie aus dem Genogramm ihrer Familie kennen. Warst du z.B. das Älteste von 3 Geschwistern? Dann musstest du vielleicht als erstes Kind stark für deine eigenen Rechte kämpfen und bist deshalb rhetorisch sehr bewandert. Es besteht also eine gewisse Nähe zum Marketing. Als jüngstes von 3 Kindern konntest du vielleicht von der Vorarbeit deiner älteren Geschwister profitieren und bist daher risikoaffiner. Dich zieht es möglicherweise eher in Richtung Unternehmertum, Arbeiten im Ausland oder Erlangen einer Führungsposition. Kommt dir das bekannt vor?
Die optimale Geisteshaltung für die Erstellung deines Genogramms
Beim Erstellen eines Genogramms spüren manche Menschen eine gewisse Angst. Die Angst davor, mit dem Genogramm die Schuld an der eigenen Unzufriedenheit auf die Eltern und anderen Familienmitglieder abwälzen. FALSCH!
Es geht beim Genogramm nicht um Schuld, sondern um Verständnis und Klarheit. Stell dir vor: Dein Großvater ist im 2. Weltkrieg gefallen und deine Großmutter musste deinen Vater ins Jungeninternat geben, um finanziell zu überleben. Dort ging es recht hart zu und dein Vater ist daher nicht sonderlich einfühlsam. Dann wirst du als sein Kind vielleicht auch indirekt dadurch geprägt und in der Berufswahl beeinflusst worden sein.
Es geht nicht um Schuld
In keinem Fall hilft in so einer Situation, deinem Vater die Schuld an deiner beruflichen Unzufriedenheit zu geben. Diese Opferrolle nimmt dir jegliche Macht, was zu ändern. Genauso wenig hilft es aber, deine eigenen suboptimalen Umstände zu leugnen. Manche Menschen denken: „Meine Eltern haben es immer gut gemeint und deshalb darf ich sie nicht kritisieren.“
Sie schämen sich für negative Gedanken. In der Folge suchen sie in sich selbst nach der Ursache der Unzufriedenheit. Sie glauben: „Ich bin wohl einfach nicht dafür gemacht, im Job glücklich zu sein.“. Das schwächt ihr Selbstwertgefühl und verringert das Selbstvertrauen. Ein Genogramm soll das verhindern.
Durch ein Genogramm erkennen Menschen oft: „Hey, meine Eltern hatten es selbst echt nicht leicht. Sie hatten tatsächlich immer die besten Absichten. Aber meine Situation war dennoch schwer.“ Dann nimmt es ihnen die Last von den Schultern, unfähig zu sein und die Schuld in sich selbst oder den Eltern zu suchen.
Die Umstände waren einfach nicht optimal. Punkt. Nicht mehr und nicht weniger. Das ideale Ergebnis der Erstellung deines Genogramms ist daher das wertschätzende Bewusstsein über deine Vergangenheit und die aktuelle Situation. Damit stehen dir die Türen offen für eine bewusst gestaltete Zukunft. Es macht „klick“, weil die Notwendigkeit offenbar wird, selbst das eigene Schicksal anzupacken.
Zitat
"In jeder Minute, die du im Ärger verbringst,
versäumst du 60 glückliche Sekunden deines Lebens."
- Albert Schweitzer
Das Genogramm als Tool zu mehr Selbstverantwortung
Durch die Erstellung eines Genogramms erkennst du vielleicht erstmals dein „wahres Ich“. Vielleicht nimmst du zum ersten Mal deine familiären Rollen wahr. Oder du hinterfragst dadurch auch erstmals bewusst deine Erziehung und die Vorurteile deiner Bezugspersonen.
Manche Menschen bemerken auch: „Ich habe keine Aufmerksamkeit von meinem Vater bekommen, ringe aber immer noch unbewusst um seine Anerkennung durch Höchstleistungen im Job. Eigentlich bedeutet mir diese Form von Karriere gar nichts. Ich muss was ändern.“ Sie geben selbst erstmals die Erlaubnis, ihren eigenen Bedürfnissen zu folgen.
Früher fanden solche Veränderungen häufig im Alter von ca. 40 Jahren statt. Daher sprach man dabei auch von Midlife-Krise. Durch die Schnelllebigkeit der Zeit kommen solche Veränderungen heute jedoch mitunter deutlich früher und zunehmend tatsächlich kontinuierlich vor. Genau genommen, sind sie heute ein Teil des normalen Berufslebens mit ständiger Neu- und Weiterorientierung.
Wichtig ist dabei: Diese Reinigungs-Prozesse sind ein sehr wichtiger Schritt in der Richtung zu mehr Selbstverantwortung und Freiheit. Das gilt längst nicht nur für den Beruf. Aber darauf konzentrieren wir uns hier zunächst noch. Du siehst also: Es hilft, dir deine eigene Familie mal etwas näher anzusehen.
Wie viele Generationen sollst du abbilden?
In der Regel schaust du bei einem Genogramm zwei bis drei Generationen in die Vergangenheit. Am leichtesten ist es meist, bei den Großeltern zu beginnen und bis in die Gegenwart zu schauen. Hier findest du am ehesten noch Informationen oder kannst Familienmitglieder befragen. Je nach Familiengeschichte können auch die Urgroßeltern noch relevant werden.
Fragen für dein Genogramm
Zuletzt wollen wir dir nun einige beispielhafte Fragen für die Erstellung deines Genogramms an die Hand geben:
• Wie hieß meine Großmutter, mit wem war sie verheiratet und wann/wie ist sie verstorben? Was war ihre Volkszugehörigkeit?
• Wie viele Kinder hatten die Eltern meiner Mutter?
• Hat X [Name des Familienmitglieds] Drogen oder Alkohol missbraucht?
• Wer war verbeamtet, wer arbeitslos und wer außergewöhnlich erfolgreich?
• Welche Familienmitglieder wurden verstoßen?
• Welche Tabuthemen gab es?
• Zu welchen Halbgeschwistern bestehen Beziehungen? Gute oder Schlechte?
• Welche schweren Krankheitsfälle gab es in der Familie? Wer nahm / nimmt regelmäßig Medikamente?
• Welche Schicksalsschläge gab es?
• Wer ist/war verheiratet und wer lebte geschieden? Wurde jemand hintergangen? Gab es Scheidungskriege? Lebt jemand in Patch-Work-Familien?
• Wer hat mich im (Berufs-)Leben am stärksten geprägt?
• Gab es Brüche in meiner bisherigen Lebenslinie?
• In welchen Spannungsfeldern habe ich mich bewegt oder bewege mich noch? Gab es einen Scheidungskrieg zwischen meinen Eltern und erwarten sie jeweils gegensätzliche Berufswege von mir, um nicht so zu werden, wie der/die Ex?
• Was machen meine Geschwister?
• Zeichnen sich wiederkehrende berufliche Muster ab in meiner Familie?
• Wurde jemand aus der Heimat vertrieben oder war Ein-/ Auswanderer?
• Welche emotionalen Beziehungen bestehen in meiner Familie? Ist sie warmherzig? Wird offen über Gefühle, Wünsche und Träume gesprochen?
Du bist dran!
Schreib auf, was du schon weißt über deine Familiengeschichte. Welche der Fragen kannst du schon selbst beantworten? Welche alten Unterlagen hast du noch? Wenn du selbst nicht mehr weiterkommst, sprich über die Familiengeschichte mit Verwandten und langjährigen Bekannten.
Notiere die Antworten sorgfältig oder lasse eine Aufnahme mitlaufen. Wichtig: Nicht jeder deiner Gesprächspartner wird begeistert helfen. Viele Menschen möchten einen Strich unter ihrer Vergangenheit ziehen und Unangenehmes nicht nochmal durchleben. Sei einfühlsam bei deiner Vorgehensweise.