Lernfähigkeit bedeutet nicht gleich Lernbereitschaft

Lernfähigkeit

Lernfähigkeit bedeutet nicht gleich Lernbereitschaft

Lernfähigkeit besitzt jeder Mensch. Das haben wir alle im Laufe unserer Entwicklung bewiesen. Du hast in deinem Leben bereits unendlich viel gelernt, und natürlich bist du fähig, weiter zu lernen. Die Frage stellt sich weniger nach deiner Lernfähigkeit als vielmehr nach deiner Lernbereitschaft. Wie diese beiden Aspekte zusammenhängen, klären wir in diesem Artikel.

Der Mensch liebt Gewohnheiten

Wir Menschen neigen dazu, es uns in lieb gewordenen Gewohnheiten bequem zu machen. Wir bevorzugen das

  • Bekannte vor dem Neuem
  • Vertraute vor dem Fremden
  • Heimliche vor dem Unheimlichen
  • Nahe vor dem Fernen
  • Begrenzte vor dem Grenzenlosen

Deine Lernfähigkeit wird erst dann hilfreich, wenn du bereit bist, dich aus der Komfortzone heraus auf unbekanntes Terrain zu begeben. Als Kind hast du das ständig getan. Ohne diesen Kindesmut, sich dem Unbekannten auszusetzen, hättest du nicht lernen können. Je erwachsener du aber geworden bist, desto mehr hast du dich mit dem bereits Gelernten zufriedengegeben. Das ist dir nicht vorzuwerfen, weil genau diese Veränderung in deiner Einstellung zur Umwelt zum Erwachsenwerden dazu gehört. Das Ausmaß deiner heutigen Lernfähigkeit hängt allerdings davon ab, wie sehr du dir deine kindliche Neugier bewahrt hast. Oder wie sehr du dich wieder an sie erinnern und mit ihr erneut verbinden kannst.

Nach Jean Piaget lernt das Kind durch

  • Assimilation, indem es sein Verhalten an die beobachtete Umwelt durch einfaches Nachahmen anpasst
  • Akkommodation, in dem es das Gelernte auf neue Erfahrungen anwendet, erweitert und modifiziert

So funktioniert Lernen grundsätzlich auch noch bei Erwachsenen. Voraussetzung ist immer, dass du bereit bist, vertraute Überzeugungen infrage zu stellen, dich auf neue Erkenntnisse einzulassen und mit ihnen zu experimentieren.

Zitat

"Wenn du einem Kind etwas beibringst, nimmst du ihm für immer die Chance, es für sich selbst zu entdecken." Jean Piaget

Schule und Lernfähigkeit

Wir alle erinnern uns wohl an Situationen in unserer Schulzeit, in der wir uns gefragt haben „Warum muss ich das jetzt lernen?“ Und gleichzeitig fragen wir uns „Warum habe ich eigentlich nie etwas zu Steuern, Krankenversicherung, Selbstliebe oder ähnlichem gelernt?“

Das wiederum wirft die Frage auf, wozu wir denn Lernfähigkeit benötigen, wenn Schulen, Universitäten, Fortbildungen usw. uns unter Umständen mit Wissen versorgen, das gar nicht unseren Bedürfnissen entspricht. Wie aber sonst sollen wir lernen und uns Neues aneignen?

Nun ist es nicht so, dass Piaget den Lehranstalten grundsätzlich die Eignung zur Wissensvermittlung abspricht. Infrage gestellt werden vielmehr

  • die Methodik
  • die Lehrinhalte
  • das Verhältnis von Lernenden und Lehrenden
  • die Lehrideologie
Kind Lernbereitschaft
Lernfähigkeit brauch Lernbereitschaft

Auch du wirst die Erfahrung gemacht haben, dass du leichter lernst, wenn dich ein Thema aktuell interessiert. Darauf können die in Pläne geschweißten klassischen Lernangebote aber keine Rücksicht nehmen. So musstest du oft das lernen, was dir vorgesetzt wurde. Das beeinträchtigt deine Fähigkeit, den Lernstoff aufzunehmen. Nicht selten prallt er an dir einfach ab, weil du keine Sensoren für ihn hast. Ganz anders ist es zum Beispiel, wenn du im Internet nach Antworten auf eine Frage suchst, die dich aktuell bewegt. Da brauchst du die Antwort nur einmal zu lesen und schon hast du sie gelernt.

Die klassischen Lernangebote sind nur noch bedingt geeignet, deine Neugier zu befriedigen. Sie können deine Lernfähigkeit nur stellenweise aktivieren und der Aufwand steht in keinem sinnvollen Verhältnis zum Ertrag.

Lernen heute

Das formelle Lernen in den klassischen Bildungsinstitutionen produziert zunehmend mehr Masse und immer weniger Klasse. Das ist der Pädagogik natürlich nicht entgangen und sie hat sich um alternative Lernmethoden bemüht:

  • mehrdimensionales Lernen, verknüpft verschiedene Lernverfahren miteinander und versucht das gesamte Lernpotenzial des Lernenden anzusprechen
  • informelles Lernen, stützt sich auf die Erfahrungen, die du in deinem täglichen Leben machst
  • Projektlernen konzentriert sich auf das gemeinsame Meistern einer Aufgabenstellung im Team, in deren Verlauf die dafür nötigen Fähigkeiten von den Beteiligten erlernt werden
  • kumulatives Lernen bemüht sich darum, neue Lerninhalte mit bereits bestehendem Wissen so zu verknüpfen, dass ein Kontext hergestellt werden kann. Im Gegensatz zum Auswendiglernen ist das Verständnis des Stoffes hier Vorbedingung
  • multimediales Lernen verknüpft Text-, Bild- und Audiopräsentationen, um die Lerninhalte möglichst eindrücklich sinnlich erfassbar zu machen
Lernfähigkeit und Lernmöglichkeiten im Jobumfeld

Wer Lebensläufe aufmerksam liest, dem fällt auf, das vor allem Selbständige die Voraussetzungen für ihre Tätigkeit mehrheitlich "learning by doing" und autodidaktisch erworben haben. Das würde auch Piaget bestätigen. Auch in Betrieben kann immer wieder festgestellt werden, dass Mitarbeiter zusätzliche Qualifikationen eher über ihr Arbeitsumfeld als über Fortbildungen erwerben. Das eine schließt das andere sicher nicht aus, aber die klassischen Bildungsinstitutionen machen zunehmend nur noch für punktuelles Lernen Sinn. Längst können sie

  • die ungeheure Breite des Wissens nicht mehr abdecken
  • mit der Dynamik des sich entwickelnden Wissens nicht mehr Schritt halten
  • das in viele Richtungen auseinander driftende Wissen nicht mehr kontrollieren

Das führt dazu, dass sich die Lernenden gezwungen sehen, mehrgleisig zu lernen: für

  • das Diplom
  • die von den Personalern geforderten Abschlüsse
  • das, was sie wirklich interessiert

Für die beiden ersten Punkte werden Lernfähigkeit und Lernbereitschaft regelmäßig überfordert. Für den dritten Punkt brauchst du dich nicht extra zu motivieren. Was dich interessiert, lernst du mit Freude und ohne, dass es dich belastet.

Lernfähigkeit

Formen der Lernfähigkeit

Aus dem Vorstehenden ist wohl schon klar geworden, dass Lernfähigkeit ein mehrdeutiger Begriff ist und, dass du sicher unterscheiden musst zwischen

  • Lernfähigkeit in deinem Umfeld und im beruflichen Alltag
  • Lernfähigkeit, die es gilt, in Bewerbungen oder in Hierarchien glaubhaft zu machen

Diese beiden Formen der Lernfähigkeit führen uns wieder zurück auf den Gegensatz von Mensch und Maschine, auf Soft Skills und Hard Skills. Lernfähig sind nämlich inzwischen auch Maschinen, wenn du sie entsprechend programmierst. Was Maschinen aber nicht können ist

  • Lernfähigkeit an rasch wechselnden Projekten demonstrieren
  • Aufgaben umdefinieren und der jeweils vorhandenen Lernfähigkeit der Person oder des Teams anpassen
  • flexibel auf überraschend auftauchende Probleme lernfähig reagieren

Auch hier hat der Mensch immer da die Vorhand, wo er Fähigkeiten hat oder entwickeln kann, die komplexen und in ihren Anforderungen wechselnden Prozessen gerecht werden.

Der Personaler, der täglich mit Hunderten von Bewerbungen konfrontiert ist, neigt dazu, diese Bewerbungen eher automatisch abzuarbeiten. Das ist bequemer und beschleunigt die Durchsicht. Er scannt die Bewerbungen nach Schlüsselbegriffen und nimmt seine Bewertung entsprechend vor. Ausnahmen bestätigen die Regel. Die Empfehlungen für die Gestaltung von Bewerbungen orientieren sich entsprechend eher an der Regel. Danach solltest du glaubhaft machen, wie

  • flexibel du bist. Die Vielfalt und Unterschiedlichkeit deiner bisherigen Aufgaben und Projekt herausstellen
  • kooperativ du bist. Wie sehr du in der Lage bist, die Meinungen anderer gelten zu lassen und mit deinen eigenen zu verknüpfen
  • teamorientiert und situativ du denkst, indem du erst genau zuhörst, bevor du mit deinen eigenen Ideen herausrückst
  • sehr du Lernen als einen lebenslangen Prozess begreifst. Wie groß deine grundsätzliche Neugier ist und deine Offenheit für neue Wege
  • du gelernt hast, aus Fehlern deine Schlüsse zu ziehen. Wie du deine Lücken durch berufsbegleitende Trainings und Coachings immer wieder zu schließen versuchst

Fazit

Leider sind es zwei verschiedene Paar Schuhe, wie du deine Lernfähigkeit nach außen dokumentierst und wie du sie tatsächlich im Alltag sinnvoll anwendest. Lernfähigkeit ist eine zutiefst menschliche Fähigkeit, die in dem Maße an Bedeutung gewinnt, in dem Digitalisierung und Automation zunehmen.

Deiner ganz individuellen und sich gedankenschnell an alle möglichen neue Situationen anpassenden Lernfähigkeit kann noch keine Maschine folgen. Wie du sie in ihrer ganzen Vielfalt sinnvoll nutzen kannst, zeigen wir dir in unseren Coachings.